Kritische Infrastrukturen
Ab 04.04.2023
Mit Gustav Cederlöf (Umweltgeograf, Dozent, Universität Göteborg), Sepideh Karami (Architektin, Dozentin, The University of Edinburgh) und Ute Tellmann (Professorin für Allgemeine Soziologie, Technische Universität Darmstadt), moderiert von Keller Easterling (Enid Storm Dwyer Professor of Architecture, Yale University, New Haven / USA)
Infrastruktur ist mehr als ihre bloße Materialisierung in Gestalt von Rohren, Kabeln, Schienen oder Straßen – sie ist Nährboden und Multiplikator von Konnektivität und übernimmt als solche eine zentrale Funktion in der Herausbildung politischer Öffentlichkeit. Umso zentraler sind die gesellschaftlichen Implikationen eines Scheiterns oder Ausschlusses von Versorgungssystemen: Der fehlende Zugang zu Infrastrukturen ist nicht nur Ausdruck von sozialer Benachteiligung, sondern zementiert diese zugleich. Gerade die immanente Verflechtung von Versorgungssystemen mit gesellschaftlicher Partizipation macht diese immer wieder zum Zündstoff für Protestbewegungen. Zugleich sind Infrastrukturen als Teil des öffentlichen Raumes grundsätzlich exponiert, prekär und ständig von Verfall bedroht und somit zunehmend Ziel von Privatisierungsbestrebungen.
Die Podiumsdiskussion Critical Infrastructures (Kritische Infrastrukturen) fragt danach, wie diese gegenwärtige Tendenz hinsichtlich des demokratischen Versprechens von Infrastrukturen zu bewerten ist und wie die inhärente Möglichkeit ihres Versagens als produktiver Ausgangspunkt für die Entwicklung innovativer Systeme umgedeutet werden kann. Aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven und anhand von internationalen Fallstudien sowie theoretischen Überlegungen werden Fragen nach dem Verhältnis von Infrastruktur, Teilhabe und Schulden verhandelt – zu einem Zeitpunkt, an dem Daseinsvorsorge stetig entstaatlicht wird und der Zugang zu ihr höchst ungleich verteilt ist. Anlässlich der Ausstellung Realities Left Vacant und vor dem Hintergrund der darin behandelten aktuellen politischen und sozialen Konflikte widmet sich die Podiumsdiskussion denjenigen Infrastrukturen, die als „kritische“ zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.
Keller Easterling ist Designerin, Autorin und Enid Storm Dwyer Professorin für Architektur an der Yale University, New Haven / USA. Im Jahr 2019 war sie United States Artist Fellow in Architecture and Design, Chicago, und wurde mit dem Blueprint Award for Critical Thinking, London, ausgezeichnet. Zu ihren Veröffentlichungen zählen u. a. Medium Design (London, New York: Verso, 2021), Extrastatecraft: The Power of Infrastructure Space (London, New York: Verso, 2014), Subtraction (Berlin: Sternberg Press, 2014), Enduring Innocence: Global Architecture and Its Political Masquerades und Organization Space: Landscapes, Highways and Houses in America (Cambridge/Mass.: MIT Press, 1999). Easterling ist außerdem Ko-Autorin (mit Richard Prelinger) der DVD Call it Home. The House that Private Enterprise Built (1992–2013). Easterling hält international Vorträge und beteiligt sich an Ausstellungen. Ihre Forschungen und Texte waren 2014 und 2018 Teil der Architekturbiennale in Venedig.
Gustav Cederlöf ist Geograph und Dozent für Humanökologie an der Universität von Göteborg. Zuvor lehrte er am King's College London und an der London School of Economics. In seiner laufenden Forschung untersucht er die politischen und kulturellen Dimensionen des Umweltwandels, wobei er sich auf die Verbindungen zwischen Energiewandel und sozialen Konflikten konzentriert. Er ist Autor von The Low Carbon Contradiction: Energy Transition, Geopolitics, and the Infrastructural State in Cuba und Discovering Political Ecology, die beide im Jahr 2023 erscheinen.
Sepideh Karami ist Architektin, Autorin und Forscherin und derzeit Dozentin für Architektur an der Universität Edinburgh, School of Architecture and Landscape Architecture. Sie engagiert sich in Lehre, Forschung und Praxis in verschiedenen internationalen Kontexten. Sie arbeitet mit künstlerischer Forschung, experimentellen Methoden und interdisziplinären Ansätzen an der Schnittstelle von Architektur, darstellenden Künsten, Literatur und Geologie, wobei sie Dekolonisierung, „minor politics“ und eine Kritik von innen als zentrale Anliegen verfolgt. Ihre Arbeiten wurden im Rahmen von internationalen Konferenzen und Plattformen präsentiert sowie in Fachzeitschriften veröffentlicht.
Ute Tellmann ist seit 2019 Professorin für Allgemeine Soziologie / Soziologische Theorie an der Technischen Universität Darmstadt. Von 2017 bis 2019 war sie als Professorin für Politische Soziologie im Max-Weber-Kolleg an der Universität Erfurt tätig; von 2010 bis 2017 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie an der Universität Hamburg. Tellmann interessiert sich für kultursoziologische und historische Perspektiven, die die enge Verbindung der soziologischen Disziplin mit der Geschichte des politischen Denkens, der Geografie, Anthropologie und Philosophie hervorheben. Sie veröffentlichte in zahlreichen Journals, darunter Economy and Society, Soziale Welt, Zeitschrift für Medienwissenschaft und Distinktion: Scandinavian Journal of Social Theory. Tellmann ist Autorin von u. a. Life and Money. The Genealogy of Liberal Economy and the Displacement of Politics (New York: Columbia Univ. Press, 2017) und The Economy and the Foundation of the Modern Body Politic: Malthus and Keynes as Political Philosophers (Michigan: University of Michigan Press, 2007).